Unser Ziel ist es, mit diesem Arbeitskreis aus der Perspektive einer kritischen anarchistischen Theorie Schwerpunktthemen wie politische Ideengeschichte, politische Ökonomie sowie den gesellschaftlichen Organisationsaufbau und dessen strukturelle Verfasstheit zu betrachten.
Wir möchten diese Themen – wenn möglich – an die Analysen historischer und aktueller Krisenerscheinungen anknüpfen. Die zugrunde liegende Idee dieses Projektes ist es in erster Linie, einen Beitrag zur inner-anarchistischen Kritik und Debattenkultur zu leisten, der auch in der Lage ist, eigene Widersprüche zu thematisieren. Nach unserer Einschätzung erfährt diesbezüglich ein ideologiekritischer Ansatz, der Gesellschaft nicht als eindimensionales Abhängigkeitsverhältnis denkt, in der zeitgenössischen anarchistischen Bewegung zu wenig Beachtung.
Die daraus resultierenden Tendenzen aktueller anarchistischer Debatten, in denen differenzierte Analysen gegenwärtiger und vergangener Krisenerscheinungen in den Hintergrund treten, nehmen wir als äußerst kritisch wahr. Die spezifischen Begebenheiten und Konvergenzen der unterschiedlichen politischen, historischen und sozialen Prozesse erhalten aus unserer Sicht zu wenig Aufmerksamkeit. Stattdessen wird oftmals ein universell gültiges und gleichzeitig manichäisches Weltbild vermittelt, das ein einfaches Lösungskonzept für komplexe Widersprüche verspricht.
Konkret soll es in dem Projekt um die Überprüfung und Überarbeitung vereinfachter Darstellungen anarchistischer Theorien, die durch Überhistorisierung, Widerspruchsbefreiung und mangelnde Überführung ins Derzeitige, gekennzeichnet sind. Wir möchten den historischen Anarchismus jedoch nicht ad acta legen, sondern ihn an einigen Stellen kritisch befragen.
Kritik am Autoritarismus und anarchistischer Debattenkultur
Ausgehend von unserem theoretischen Ansatz möchten wir notwendige Abgrenzungslinien gegenüber regressiv-autoritären linken Theorien aus anarchistischer Perspektive herausgearbeitet und die daraus resultierenden Überlegungen publiziert werden. Dazu zählen auch marxistisch-leninistische, naturalistische und links-nationalistische Elemente, die in eine globale anarchistische Praxis eingewoben werden. Einige inhaltliche Berührungspunkte zwischen anarchistischen Gruppen und autoritären Akteuren geben Anlass zur Sorge, wobei der Begriff des Autoritären oftmals unscharf bleibt und als bloße Feindmarkierung verwendet wird.
Theorieverständnis
Anknüpfend an diese Kritik dient das Projekt der Publikation theoretischer Überlegungen, um ein emanzipatorisches und progressives linkes Versprechen von Kritik einzulösen. Wir erachten es als unabdingbar, einen historisch und ideengeschichtlich fundierten anarchistischen bzw. libertär-kommunistischen Ansatz mit Hilfe radikaler Gesellschaftskritik auch in eine (post-)moderne Kritik zu überführen.
Die reduktionistische Tendenz, soziale Ungleichheit und politische Konstellationen rein auf materielle oder ökonomische Ursachen zurückzuführen, muss in anarchistischen Überlegungen aufgebrochen werden. Stattdessen sollten in eine klassenbezogene und ökonomische Strukturanalyse auch verschiedene gesellschaftliche Funktionen, Dynamiken, Weltbilder und Mechanismen integriert werden, um der Funktions-Komplexität sozio-ökonomischer Systeme gerecht zu werden. Für uns gilt: Eine Kapitalismuskritik ohne Gesellschaftskritik kann nur vulgär sein, eine Gesellschaftskritik ohne Kapitalismuskritik kann nur antiemanzipatorisch sein.
Obwohl ein subjektives Empfinden im Erkenntnisprozess nicht gänzlich ausgeklammert werden kann und wir keinen wissenschaftspositivistischen Ansatz vertreten, soll dieses Projekt nicht den moralisierenden Werturteilen und dem Aufruf zu Empörung und Aktionismus anheimfallen, die in der anarchistischen Szene oft üblich sind. Wir möchten kein weiteres Angebot im Kosmos des leicht verdaulichen Agitprop sein, sondern versuchen, die diskursive anarchistische Perspektive zu erweitern und divergierende anarchistische Blickwinkel debattenorientiert einzuordnen.
Essayistisch orientiertes Arbeiten
Auf dieser Grundlage bieten die Publikationen lediglich Ausschnitte theoretischer Diskurse und keine abschließenden Gesamtüberblicke. Der Arbeitskreis versucht, fundierte Texte zu erarbeiten. Unsere Thesen sollten im theoretischen Teil begründbar sein, haben jedoch einen eher essayistischen Charakter. In keinster Weise sollen die Publikationen den Anspruch haben, den finalen Abschluss einer anarchistischen Diskurs-Debatte zu markieren. Ergänzungen und inhaltliche Kritik von Dritten sind ausdrücklich erwünscht.
Anarchismus
Daran anknüpfend möchten wir den Anarchismus in unserer theoretischen Arbeit als eigenständige Perspektive verstehen und in den Mittelpunkt stellen – gerade, weil er im wissenschaftlichen Diskurs, insbesondere im Vergleich zur marxistischen Kritik, deutlich unterrepräsentiert ist. Es erscheint uns deshalb sinnvoll, verstärkt theoretische Arbeiten zu fördern, die einen konsistenten und kohärenten Ansatz entwickeln.
Auch wenn wir in unserem Selbstverständnis keinen umfassenden Überblick zum Anarchismus skizzieren können, scheint es uns sinnvoll, drei fundamentale Bereiche anzugeben, die den Anarchismus im Rahmen unserer theoretischen Arbeit als Analysekategorie fassbar machen:
- Vergesellschaftung der Produktionsmittel
- Selbstbestimmung des Individuums (politische und soziale Gleichheit ohne Fremdbestimmung)
- Anti-Etatismus
Aus unserer Sicht bildet das Zusammenspiel dieser drei Aspekte ein konzeptionelles Gerüst, das den Anarchismus in seiner inhaltlichen Qualität definieren kann. Der Anarchismus versteht sich nicht als passiver Projektions- und Fluchtpunkt einer bürgerlichen Gesellschaft, der lediglich ein Ausstiegsangebot bietet, sondern als aktiver kollektiver Gestaltungsanspruch.
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